sternentinte

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augenstern

Donnerstag, 23. Februar 2012

das müde mädchen träumt


Es träumt vom Kuscheln. Einmal eine ganze Woche lang im Bett verbringen.
Zwischendurch allerhöchstens einen Tanz tanzen am Tag. Die Wochenzeitung lesen und Bücher. Notizen machen und Geschichten schreiben. Reden und Lachen. Vögeln ohne abzustürzen. Vertrauen gewinnen.
Geht das? Oder wird es langweilig am zweiten Tag?
Lino ist da. In der ersten Nacht lagen Lino und Lena nur nackt nebeneinander und haben nichts gemacht. Nur die Wärme genossen und eine leise Vertrautheit gespürt. Am ersten Tag, der auf die erste Nacht folgte, erfanden sie Himmel und Erde. Er wollte der Himmel sein und sie sollte die Erde verkörpern. Über ihnen schwebten wie das Damoklesschwert die göttlichen Freuden und das Chaos. Das ganz normale Chaos der Liebe. Irrnis und Wirrnis und Finsternis. Die wüste Urflut ergoss sich aus ihrem Geschlecht.
Es wurde Nacht und sie wussten die nicht zu benennen. Am zweiten Tag sagte er: Ich liebe dich. Und es wurde Licht. Da nannte sie das Licht Tag und die Dunkelheit Nacht.
Alles war gut so, wie es war.
Ihre Hände begannen über seinen Körper zu wandern und fanden das Himmelsgewölbe am dritten Tag.
Und fanden seinen harten Schwanz am vierten Tag. Da war es, das Land, das in ihrem Meer liegen sollte. Linoland und Lenameer. Seine Hände streicheln ihren Kopf, auf dem das Haar wie eine unaufhaltsame Pflanze gewachsen ist.
Am fünften Tag findet er das Bild auf ihrem Fuß und fragt:
Was ist das?
Das sind die Sonne, der Mond und die Sterne. Die gibt es jetzt auch, damit wir uns in der Dunkelheit nicht fürchten müssen. Damit der Tag uns wärmt.
Plötzlich erwachen die Tiere im Meer. Sie wollen leben. Sie wollen mehr. Vögel beginnen durch den Himmel zu fliegen, der er ist, am sechsten Tag. Sie schlafen miteinander und sind ganz wach dabei.
Da entsteht ein Tierchen des Landes in ihrem Bauch am siebten Tag. Und die Schöpfung ist vollbracht. Von Himmel und Erde, Land und Meer, Pflanzen und Fischen und Vögeln, Gestirnen des Tages und der Nacht. Es gibt hell und dunkel und den Menschen, das begabte Tier.

Freitag, 17. Februar 2012

Zwergenklein sein

für LinaKarolina


In meine Nase zieht der Duft von Kindheit. Zimtschneckenduft und für die Tomatensoße angebratene Zwiebeln mit Knoblauch. Frühlingsluft und schneidend kalter Winterhimmel, der sich auf die Erde gesenkt hat und in die Backen beißt. Ich muss Niesen und bis zur Lippe zieht sich der gelbe Rotze Faden. Anouk muss ins Bett gehen und lacht. Anouk wacht auf und lacht.
Ich bin erwachsen geworden und morgens riecht es nach Kaffee in der Wohnung.
Wenn die Rasenflächen in den Parks in unserem Viertel wieder grün sind, gehen wir vor die Tür und beobachten Insekten. Ich weiß nicht, wie oft uns das Beobachten von winzig kleinen Tieren schon aus einem Streit oder einer Traurigkeit geholfen hat.

Gib mir den Ball, sagt Anouk zu Tamira. Er gehört mir.
Nein, sagt Tamira. Jetzt will ich ihn haben.
Nein, sagt Anouk. Gib ihn her. Es ist meiner.
Und Tamira läuft mit dem Ball los und versteckt sich hinter einem Baum in einem Gebüsch. Der schönste Streit ist in vollem Gange.
Anouk schreit, rennt los, fällt hin, erreicht Tamira und zieht ihr, weil die sich mit dem Ball umgedreht hat, an den Haaren. Tamira lässt den Ball fallen und haut Anouk in den Bauch.
Tamira weint. Anouk heult. Wir stehen von unserer Bank auf und trösten die Kinder und schimpfen mit ihnen, dass sie sich nicht streiten sollen. Dass der Ball da ist, damit sie beide mit ihm spielen können. Und das er weg ist, wenn sie sich darüber streiten.
Kuckt mal, sage ich. Hier ist ein ganz kleines, grünes Tier. So eins von der Insektenelfensorte, fast durchsichtig.
Da hören die Kinder auf zu jammern und setzen sich in das Gras um das Tierchen anzusehen.   

An einem Wochenende fahren wir auf ein wildes Gelände. Ein ehemaliger Militärflughafen, auf dem es viel zu sehen gibt und die Wiese hoch gewachsen ist. Wir schlagen unsere Zelte auf und freuen uns an der Stille am Tag und den Lagerfeuern in der Nacht. Ohrenschützer brauchen wir nicht. Es ist besser die Wespe heransummen zu hören, als von ihr gestochen zu werden.
Es ist Mai und wir frieren Nachts in unseren Zelten, kuscheln uns ganz eng aneinander und erzählen uns Geschichten, bis wir zwei Schaffelle ausgeliehen bekommen, die uns, vor der aus dem Boden hochziehenden Kälte, schützen.
Morgens stapfen wir in Gummistiefeln durch die taufeuchte Wiese zum Waschen.
Mittags kochen wir unsere Spaghetti unter freiem Himmel und abends, wenn die Kinder in den Zelten liegen, trotzen wir den Mücken und trinken einen Zahnputzbecher voll mit Wein.
Am Samstag wird ein Geburtstagsfest gefeiert und als es am Sonntagmittag noch nicht zu Ende ist, gehen wir hin und bekucken uns, aus angemessener Entfernung, die feiernden Leute. Wir liegen unter einem großen Kastanienbaum und finden einen Maikäfer. Die Kinder bauen ihm eine Maikäferstadt, dann gehen sie und tanzen mit einem Mann mit langen Haaren, der ziemlich betrunken wirkt, aber freundlich ist. Wir hören die Musik und wippen mit den Füßen. Die Sonne scheint uns auf die Bäuche und wir bekommen ein Stück Wassermelone geschenkt.
Der Sommer schmeckt nach Wassermelone, Wassereis und Weintrauben.
Der Winter riecht nach Schnee.
Im Herbst kochen wir Apfelmus mit Vanillezucker.
Und im Frühling verbannen wir die dicken Jacken in den Keller. Reißen die Balkontür auf und freuen uns am Vogelgezwischer. Der Winterhimmel war mit Möwen besetzt. Und im Herbsthimmel sahen wir die Zugvögel schnatternd und in Formation in den Süden ziehen.
Einmal hat sich ein Regenbogen über den dunklen Gewitterhimmel von ganz rechts nach ganz links an uns vorbeigespannt. Da haben wir gestaunt.
An Sylvester darf man lange aufbleiben und wenn man sich zu Weihnachten ein lebendiges Einhorn wünscht, bekommt man Wellensittiche vom Christkind, das eng mit dem Weihnachtsmann zusammenarbeitet.
Anouk ist so stark, dass sie Bäume ausreißen kann, auch wenn diese nur ein Grashalm sind.
Wie schön muss es sein, wenn man zwergenklein ist und der gemähte Rasen noch ein Wald und die Ameisen prima Reittiere und die Schätze echt sind. Eine Muschel kann ein Boot oder Bett sein. Und das dunkelgrüne weiche Moos ist ein Kissen. Wir springen  von einer Wurzel zur anderen und überqueren das Frühlingspfützenmeer auf einem dünnen Ast.
In unserer Wohnung wächst ein grüner Dschungel und an guten Tagen tauschen wir die winzigen Schätze, die in den Streichholzschachteln wohnen, miteinander. Morgens um acht wirft die aufgehende Wintersonne Lichtengel an die Wände. Der Wintermorgen ist eine große blaue Tasse mit weißen Wölkchen und in der Tasse dampft ein Tee mit Milch und Zucker. Wenn es dunkel wird, füllt Mama heiße Milch mit Honig hinein.
Am allerliebsten isst Anouk Griesbrei zum Frühstück. Und der Weg zum Kindergarten bleibt fünf Tage in der Woche derselbe.
Es ist nicht immer leicht ein starkes Kind mit einem großen Kopf zu sein. Elisabeth die Zicke versucht jeden Tag, alle Mädchen auf ihre Seite zu ziehen. Sie ist eine hochmütige Prinzessin, die nicht weiß, dass nur die Gänsemagd für den Königssohn bestimmt ist. Dass nur der, der auf dem Fußboden geschlafen hat, das Königreich seines Lebens weise regieren wird. Und Anouk soll den Hund spielen immer wieder.
Als im Kindergarten Karneval gefeiert wird, geht Anouk als Hase.
Ihre Freundin Tamira ist eine Wellenprinzessin mit einem mit Muscheln und Perlen besetzten Kleid. Sie erfinden ein Königreich, in dem Tamira regiert und der Hase zuhause ist. Es gibt nichts Besseres als ein Zuhause zu haben.
Wenn Anouk müde ist, fängt sie an mich vors Schienbein zu treten. Ich verbiete ihr die Süßigkeiten für den nächsten Tag. Sie beginnt zu weinen. Ich halte das aus. Es ist mein Job. Ich muss ihr beibringen, dass man nicht böse werden darf, wenn einem was fehlt. Und wenn sie das Schnoopzeug mit ihrem Freund Lino teilt, dann bekommt sie es doppelt von mir zurück.
So lernt sie, dass Teilen besser ist als Hamstern.
Durch eine Miniatursanduhr rinnt der Sand. Die Zeit geht so schnell vorbei.
Ich wünsche Anouk eine schöne, spannende Pubertät, in der man den ersten Kaffee trinkt und stolz darauf ist, dass man schon so erwachsen. Einen Lebensabschnitt, in dem man bis zwölf in den Federn liegt, damit sich die Gehirnwindungen neu vernetzen können. Und dann trotzdem auch mal den Abwasch macht, während man seinen krausen Gedanken nachhängt.
Einen weichen Übergang in das Leben eines bald erwachsenen Menschen. Mama ist manchmal doof, aber eigentlich ist sie ein guter Kerl. Und weil jeder Mensch Fehler macht, muss man ihr nicht mehr vors Schienbein treten.
Da ist soviel, was sie erlaubt. Es ist so schön mit Tamira am späten Nachmittag, der Tag hat erst vor ein paar Stunden begonnen, in einem Cafe zu sitzen. Yogitee aus großen Tassen zu trinken und über die Liebe zu philosophieren.
Es ist toll einen großen, bunten Freundeskreis zu haben. Und am Wochenende auf einer Skaparty zu tanzen. Sollen die vermeintlich Großen doch machen, was sie wollen. Nur weil Ernst- August in den Brunnen springt, springe ich, Anouk Away nicht hinterher. Ich bin ein starkes Mädchen und alles hat seine Zeit.

Montag, 13. Februar 2012

Wer bei drei nicht auf dem Baum ist, kriegt mich


Wir sehen uns auf einer Filmemacherparty im Rahmen der Berlinale. Ich verlasse, die Tanzfläche, um mir eine Matebrause am Tresen zu bestellen. Da steht er plötzlich neben mir und sagt: Was machst du denn hier?
Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Antworte ich.
Wie geht es dir? Will er wissen.
Interessiert dich das wirklich? Frage ich.
Ich suche das Gespräch und die Menschen, mit denen etwas zu machen ist. Ja, ich will auch noch Vögeln heute Nacht. Aber nicht mit dir. Mit dir habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Ich könnte dich sicherlich lieben, ob du weißt wie das geht, da bin ich mir nicht mehr sicher. Und wenn es nur ein Prozent der Möglichkeit gibt, dass mich der, mit dem ich heute nach Hause gehe, morgen anruft, dann ist das mehr an Möglichkeit, als dass du dich veränderst.
Schon schade, sagt er. Aber, was mich vielmehr interessiert ist das  Drehbuch, welches du geschrieben hast. Worum geht es?
Und ich kann mich nicht umdrehen und gehen, denn auch deshalb bin ich hier, um über meine Arbeit zu reden.
Es ist ein Märchen. Sage ich. Liebe rettet die Welt. Eingebettet in eine traurige Geschichte vom Scheitern, leben die vier Protagonisten ihre Beziehungen. Antonia und Adam finden heraus, dass nur ein Paar, dass sich liebt und ein Kind bekommt, die Welt retten kann und denken Sunny und Balder sind es. Dabei übersehen sie einfach, dass sie selbst es sein können, als Antonia schwanger wird. Antonia treibt ab und Adam trennt sich von ihr, woran sie beinahe zerbricht. Balder wird von Sunny rausgeschmissen, nachdem er beknackt auf ihre Schwangerschaft reagiert. Am Ende bleiben nur Sunny und Antonia und das Kind in Sunnys Bauch. Sie begehen eine soziale Skulptur, die Sunny sich ausgedacht hat und für deren Umsetzung sie gekämpft hat. Der Ausgangspunkt zur Rettung der Welt. Es ist im Film wie im Leben. Am Ende kommt alles ganz anders, als man denkt.
Das klingt interessant. Sagt er.
Meine Nummer hast du ja schon. Sage ich.
Ich werde dich anrufen. Sagt er.
Gut. Sage ich.
Dann gehe ich, um der Möglichkeit eine Chance zu geben.

Sonntag, 5. Februar 2012

Wenn wir lieben, sind wir Kinder



Der Duft von frisch gemähtem Rasen liegt in der Luft. Die Schwalben ziehen hoch oben durch den Himmel. Ein paar Verrückte versuchen einen Wolkenberg zu erklimmen. Ich sitze auf der Wiese und zupfe an einem Gänseblümchen.
Als kleines Mädchen mit zwei blauen Augen und ein paar Schrammen an der linken Wange, frage ich sie.
Er liebt mich. Er liebt mich nicht.
Denn tut er es, will ich ihm folgen, was er auch tut.
Er liebt mich.
Das ist ein Glück. Denke ich.
Dann gehe ich mir einen Griesbrei kochen. Mehr will mein Magen gerade nicht haben.
Ich bin verliebt in allen Variationen.
Ich schweige und denke, dann wird er schon auf mich zu kommen. Ich rede mich um Kopf und Kragen. Er geht. Ich tanze.
Der geht, ich weiß es. Gänseblümchen lügen nicht.
Meine Seele ist ein weißes Laken. Ich spanne es auf das Bett. Jetzt muss ich nur noch Kaffee kaufen, den wir am nächsten Morgen gemeinsam trinken können.
Die Wolkenkletterer sind ein gutes Stück vorangekommen. Sichern, klettern, abseilen. Sichern. Finden kaum Halt in der feuchten Substanz. Die Wolke wächst. Es wird Gewitter geben. Es wird überall nur mit Wasser gekocht.
Ein schwacher Trost, den meine Veilchenaugen finden. Am Himmel hängt ein Lachen.
Ich habe dich niemals verachtet, nur die Zärtlichkeit habe ich vermisst.
Grün und blau hängt meine Seele an der Leine. Ein Glück, dass sie keine Stockflecken bekommen hat, von gestern auf heute.
Nein, ich war nicht faul. Ich konnte es einfach nicht machen.
Ich habe mir die Augen ausgeweint, damit ich mich im Spiegel nicht mehr sehen muß.
Am anderen Ende der Leitung sitzt der Weinmann und das tue ich schon.
Ich liege auf dem Sofa und lecke meine Wunden. Die Katzehund ist nicht gesund.

Wir laufen durch eine Sommerwiese. Sag mir deine Lieblingsfarbe, rufe ich.
Blau, schreit er. Wir liegen mit den Köpfen auf unseren Schultern. Kein Wölkchenmeer am Himmel zu sehen. Ich zeige ihm, wie man mit zwei Händen auf eine Million zählt ohne sich die Finger zu verknoten und ohne zu wissen, wann man sie erreicht hat. Ein Bushaltestellenspiel, das auch im langweiligen Unterricht gespielt werden kann, wenn man müde geworden ist, sich die Lehrkraft in Unterhosen vorzustellen.
Wir fahren mit den Rädern über die heißen Asphaltstraßen der Stadt. Kein Auto am Horizont zu sehen. Wenn ich es genau nehme, auch kein Horizont.

Er nimmt sich, was er braucht. Ich, die Dreikäsehoch, komme zu kurz, nein, gar nicht. Er ist ein erwachsener Mann, dem die Mutter keine Manieren beibringen konnte, weil sie seinem Vater gefolgt ist, was er auch tat und als gute Frau die Flecken aus dem Laken gewaschen hat.
Blau, schreie ich. Das kann Mann doch alles noch lernen. Die Verantwortung des Penisträgers gegenüber der Frau. Den Sanftmut und die Weisheit der Liebe. Gemeinsam, so wie die Wolkenbesteiger, die Wolke besteigen.
Wenn wir brechen mit den seit Generationen tradierten Vorstellungen. Großes Kino sind die nicht. Alltagstheater der Realität viel mehr.
Um seine Ehre zu retten heiratet er alsbald eine andere Frau.
Die ist schlau und respektiert sein Bild von Männlichkeit. Sie hat keine Ambitionen Tore zu schießen oder die Welt zu retten und so führt sich die Tradition fort in seinem Sohn.
Es wird dauern.

Fast oben angekommen, stürzt der eine Kletterer hinab durch die Wolke. Das Seil reißt. Doch es wachsen ihm Flügel. Die sind echt und nicht wie Ikarus Flügel mit Wachs befestigt.
Die Sonne, la Luna und die Erde.
Ich erhebe mich über die Beschränktheit einer Sprache und entdecke die Lebens spendende, weibliche Dreifaltigkeit im Universum.

Ich bin eine sanfte Feministin.
Ein kleines Kind, das manchmal Hunger hat und sich nimmt, was es braucht.
Ich stehe nicht mehr meinen Mann im Alltag, sondern freue mich an dem, was ist.
Die Liebe ist ein hohes Ross.
Er hat mir beim Absteigen geholfen, weil meine Füße den Boden allein nicht finden konnten. Der Geruch von Pferdeäpfeln und Rosen liegt in der Luft. Es ist Sommer geworden.