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Sonntag, 8. Januar 2012

Kopfstand


„Wenn die Irrtümer verbraucht sind, sitzt als letzter Gesellschafter uns das Nichts gegenüber.“ Bertolt Brecht

Damals, als ich gezeugt wurde, hat meine Mutter einen Kopfstand gemacht, weil sie mich wollte. Heute habe ich Fragen, die sie mir nicht beantworten kann.
Ich stehe auf dem Kopf, so lang ich kann und frage mich, was ist Zeit, wenn zehn Minuten im Kopfstand so viel und zehn Minuten im Glauben an mein Gegenüber so wenig sind.
Mein persönliches Glück zeichnet sich dadurch aus, dass ich Zeit habe. Zeit für Anouk, Zeit für mich und Zeit meine Geschichten aufzuschreiben. Deshalb, und weil ich nicht faul geworden bin durch die Finanzierung des Staates, plädiere ich für das Grundeinkommen. Nicht, weil ich an das Gute im Menschen glaube, sondern weil ich der Überzeugung bin, dass das Gute in der Welt kultiviert werden kann, wenn der Mensch Zeit hat. Zeit haben macht mich manchmal einsam. Einsamkeit fühlt sich nicht gut an. Trotzdem meine ich, dass es gut ist wie es ist, denn ich habe gelernt die Einsamkeit zu strukturieren. Einsamkeit ist Zeit. Und aus der heraus kann ich denken, schreiben und arbeiten an der Wissenschaft, die ich bin. Das macht Sinn, denn ich bin nicht allein mit meinen Erfahrungen und teile mein kleines Leben, an dem mir soviel liegt mit vielen ohne sie zu kennen. Vielleicht werden wir uns irgendwann einmal begegnen. Dann können wir uns die Hände reichen, uns im besten Fall auf die Schultern klopfen, um uns beim Abschied in den Arm zu nehmen, weil wir wissen, dass der Wunsch nach geteilter Einsamkeit nicht ungeteilt bleibt. Einsamkeit ist Leben. Und aus der Langeweile wächst die Phantasie. Phantasie ist Freiheit. Die Welt ist im Kopf.
Doch bin ich erst frei, wenn ich mir morgen keine Zigarette mehr aus Langeweile anzünde. Das ist klar wie Hühnersuppe.
Ich bin auf dem Sprung. Es ist Katzensprung, der mich trennt von dem, was ich als gutes Leben bezeichnen würde. Ich bin ein Mensch und keine Katze. Ein Katzensprung ist nur ein großer Menschenschritt. Davor muss ich mich nicht fürchten.
Habe ich den Schritt gemacht, dann, wertes Gegenüber, hänge ich nicht mehr an dir, weil ich dann weiss, was ich an mir und der Zeit habe. Einsamkeit ist dann ein Irrtum. Einsamkeit ist reine Zeit. Du musst keine Angst vor mir haben. Ich stehe mit beiden Beinen im Leben und mache Schritte, um mich fortzubewegen. Ich bin keine Pflanze mehr, die sich Klette schimpft. Mir sind Extremitäten gewachsen und ich habe gelernt, sie einzusetzen.
Das Glück liegt in mir und aus ihm heraus, kann ich an dich glauben.
Ich habe einfach vergessen, mir zu wünschen, dass mir jemand hilft. Das kann ich nun alleine.
Ich habe gelernt, die gemeinsamen Momente wertzuschätzen und die Einsamkeit mit mir zu füllen.
Geliebtes Gegenüber, du fehlst und drei Tage sind mehr als Nichts.